Wie und warum?

Peter Tscherkassky

Einige Anmerkungen zur Produktionstechnik der „CinemaScope“-Trilogie
Vortrag am 19.8.2000 im Rahmen der Weinviertler Fotowochen.


WIE
Die von mir so bezeichnete „CinemaScope“-Trilogie setzt sich aus den Filmen „L’Arrivée“ (1997/98), „Outer Space“ (1999) und „Dream Work“ (2001) zusammen. Bei diesen drei Arbeiten handelt es sich um sogenannte Found Footage Filme: Sie bedienen sich fremden, „gefundenen“ Materials. Im Fall von „L’Arrivée“ sind dies einige wenige Einstellungen aus „Mayerling“ (GB 1969; Regie: Terence Young); die beiden jüngeren Filme basieren auf dem Thriller „The Entity“ (USA 1983; Regie Sidney J. Fury).
Innerhalb der Avantgarde besitzt der Found Footage Film eine lange Tradition, die in den 1930er Jahren mit den Filmen von Joseph Cornell und Len Lye einsetzt. Was nun die Verwendung des Ausgangsmaterials innerhalb der „CinemaScope“-Trilogie originär erscheinen läßt, ist die spezifische Transformation, der ich das Found Footage während der Herstellung der Trilogie unterzogen habe.
Produziert wurden „L’Arrivée“, „Outer Space“ und „Dream Work“ in der Dunkelkammer, und zwar vermittels eines archaischen Kopierverfahrens. Realiter präsentiert sich das Setting folgendermaßen:
Auf ein ca. 15 cm breites und 100 cm langes Nagelbrett lege ich einen ebenso langen Streifen unbelichteten 35mm Rohfilm. Dieser Länge von einem Meter entsprechen 48 Filmkader – das sind zwei Sekunden Projektionszeit.
Der Rohfilm selbst ist orthochromatisch, d. h. für Rotlicht desensibilisiert; insofern kann ich während der Arbeit am Film als Raumbeleuchtung schwaches Rotlicht verwenden. Fixiert wird der Rohfilm durch die Stifte des Nagelbrettes, die auf beiden Seiten des Filmstreifens durch jedes vierte Perforationsloch emporragen. Auf diese Weise kann das Filmmaterial nicht verrutschen, und der Übergang zwischen zwei benachbarten Kadern wird erkennbar.
Auf diesen Rohfilm wird in der Folge sandwichartig Found Footage gelegt, welches sodann händisch umbelichtet werden kann. Für dieses Belichten kamen bei der Trilogie zwei Lichtquellen zum Einsatz. Zum einen ein standardisierter Fotovergrößerungsapparat, der hier freilich nur als Lichtspender Verwendung fand: an seiner Linse kann die Lichtintensität eingestellt und mit einer Belichtungsuhr die Belichtungsdauer präzise gesteuert werden. Im Lichtkegel dieses Vergrößerers können ca. 18 Kader en bloc gleichmäßig umkopiert werden.
Oder aber die Belichtung erfolgte – und das war der Regelfall – Kader für Kader. Hierbei bediente ich mich eines sogenannten Laserpointers, mit dem Teile des jeweiligen Ausgangskaders umbelichtet werden können. Die Dauer der Belichtung wird hier spontan bestimmt und folgt gewonnenen Erfahrungswerten; der Belichtungsakt selbst hat eine gewisse malerische Qualität, da ich den Laserstift von Hand führe.
Sind die 48 Kader des Rohfilmstreifens belichtet, wird dieser Vorgang wiederholt, und zwar am selben Streifen – nun aber dienen andere Einstellungen des Found Footages als Ausgangsmaterial für die Umbelichtungen. Auf diese Art kann ich Bildteile aus unterschiedlichsten Quellen miteinander mischen und optisch collagieren. Für „Outer Space“ wurden bis zu fünf Belichtungsschichten über- und nebeneinander gelegt; im Fall von „Dream Work“ bis zu sieben. („L’Arrivée“ wurde noch zur Gänze mit dem Vergrößerungsapparat belichtet. Hier entstanden die Collagierungseffekte durch unmittelbares Stapeln verschiedener Found Footage Teile über dem Rohfilm.)
Üblicherweise dauert eine mehrschichtige frame-by-frame-Belichtungsarbeit an einem Meter Rohfilm zwischen 45 und 70 Minuten. Unmittelbar danach entwickle ich das Material händisch und unterziehe das sichtbar gewordene Resultat einer ersten optischen Kontrolle an einem Leuchttisch.
Dieser eben beschriebene Prozeß der Bildproduktion betrifft in gleicher Weise auch die Herstellung des Soundtracks. Bekanntlich findet sich der Filmton als sogenannter „Lichtton“ optisch in Gestalt eines gezackten Streifens am Rand der Filmkopie codiert. Insofern läßt sich auch der Soundtrack eines Films – wie seine Bildwelt – umkopieren und collagieren. Insbesondere für „Outer Space“ habe ich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht: Für jede Passage des Films wurden passende Tonsequenzen aus der Filmkopie ausgewählt und zu den Bilder (und fallweise zum originalen Synchronton des Ausgangsmaterials) hinzukopiert.
Im Fall von „L’Arrivée“ wurde das Ausgangsmaterial über den Rand der Rohfilmstreifen hinaus versetzt kopiert, so daß der Tonabnehmer des Projektors Teile des Bildes selbst als Ton „liest“ und hörbar macht. (Das akustische Ergebnis erinnert entfernt an die bruitistischen Klangwelten der Futuristen.)

Meinen Aktivitäten in der Dunkelkammer ging freilich eine nicht minder aufwendige konzeptuelle Arbeit voraus. Das Ausgangsmaterial stand auf Video zur Verfügung. An Hand dieser Videokopie habe ich den Film quasi auswendig gelernt: All seine Einstellungen, Einstellungsteile und Bildsegmente bildeten eine Art Vokabular für den neuen Film. Die Entwürfe für dessen Gesamtdramaturgie wurden in einem Arbeitsbuch fixiert.
Ein weiteres Buch begleitete die Arbeit in der Dunkelkammer. In diesem wurde die Mikrostruktur der Filmstreifen vor ihrer Belichtung exakt festgelegt. Hierbei habe ich das Ausgangsmaterial jedes einzelnen Streifens verzeichnet, und sämtliche spezifischen Eingriffe vermerkt. Das Resultat ähnelt einer grafischen Notation, die sich Streifen für Streifen fortsetzt. Traten Fehler während der praktischen Umsetzung auf, konnte ich die Belichtungsarbeit umgehend wiederholen.

WARUM
Auf dem Gebiet der Kinematographie sind wir zur Zeit – nolens volens – Zeugen einer schrittweisen Ablösung des klassischen Filmmaterials durch digitale Bild(re)produktion. Dieser Prozeß schreitet langsam voran, vielleicht langsamer als so manche Protagonisten der digitalen Bilderwelt dies prophezeien. Dennoch scheint es eine ausgemachte Sache zu sein, daß es lediglich eine Frage der Zeit ist, bis die gesamte Laufbildproduktion auf digitale Aufzeichnungen und Wiedergabe umgestellt sein wird. Wer sich heute in die Vorführkabine eines Kinos begibt, mag sich dort angesichts der behäbigen Apparate bereits ein wenig in eine Art Jurrassic Park versetzt fühlen, und auch die viele Kilo schweren Filmrollen, die mühsam vom Verleiher zum Kino, von diesem zum nächsten Abspielort, usw. transportiert werden müssen, lassen unweigerlich an die rote Liste gefährdeter Tierarten denken.
Nun mag es zutreffen, daß es in den meisten Bereichen der audiovisuellen Kommunikation keine besondere Rolle spielt, ob die Laufbilder von einem Filmstreifen stammen oder aus einem digitalen Datenspeicher abgerufen werden. In all jenen Bereichen jedoch, in denen es um den Film als eine Kunstform geht, ist die Differenz zwischen den beiden Medien nichts weniger als gravierend.
Dies hängt zusammen mit der Ätiologie moderner Kunst insgesamt. Die Erscheinungsformen dessen, was wir als moderne Kunst bezeichnen,
sind historisch betrachtet das Resultat eines gesamtgesellschaftlichen Rationalisierungsprozesses. Philosophiegeschichtlich wurzelt dieser Rationalisierungsprozeß in der Aufklärung; sozialgeschichtlich war es die französische Revolution, mit der die Vernuft zur Legitimationsinstanz von Herrschaft erhoben wurde. Aus ökonomischer Perspektive kann Moderne als das Ergebnis eines Rationalisierungsprozesses betrachtet werden, der sich in seiner technischen Ausprägung – nämlich als Industrialisierung – die Welt verfügbar machte. Innerhalb der Kunst artikulierte sich die zunehmende Rationalisierung dergestalt, daß die künstlerische Produktion ihre innere Struktur selbst zu reflektieren begann, ihre gestalterischen Mittel und Möglichkeiten, und damit zutiefst verbunden: ihr jeweiliges Material.
Filmgeschichtlich betrachtet sind es insbesondere die Filme der klassischen und der zeitgenössischen Avantgarde, in welchen die Eigenheiten des Mediums Films und seine spezifischen gestalterischen Möglichkeiten sich reflektiert finden.
Aus dieser Perspektive läßt sich folgender Umstand unschwer erkennen: Für eine avancierte künstlerische Artikulation innerhalb des Laufbildes sind die Medien „analoges Filmmaterial“ und „digitale Bilderzeugung“ keinesfalls austauschbar: Dafür sind ihre Materialien zu verschieden. Lediglich der erzeugte Effekt, nämlich die Illusion einer Bewegungswiedergabe, ist der gleiche. Überspitzt ließe sich formulieren: Die beiden Medien „analoge Bildaufzeichnung“ und „digitale Bilderzeugung“ haben überhaupt nichts miteinander gemein, außer, daß am Ende bewegte Bilder beobachtbar werden.
Diese Diagnose darf freilich keinesfalls als Kritik an den Möglichkeiten eines reflexiven künstlerischen Gebrauchs digitaler Bilderzeugung mißverstanden werden. Ich insistiere lediglich auf den radikal differenten Möglichkeiten eines selbstreflexiven, künstlerischen Gebrauchs des Materials dieser beiden Medien: einerseits binär codiertes Datenmaterial auf irgendwelchen Speichermedien, die sich als solche einerseits einem direkten Zugriff entziehen, als Datenmasse wiederum tatsächlich beliebig manipulierbar erscheint; andererseits ergreifbares Trägermaterial, auf dessen komplex aufgebauter Beschichtung das Zusammenspiel von Lichteinfall und chemischen Prozessen ein analoges Abbild hinterläßt.
Sollte nun die historische Entwicklung a la longue tatsächlich zu jenem Punkt führen, daß die Produktion analogen Filmmaterials von der (den Gesetzen der Nachfrage unterworfenen) Industrie eingestellt wird, so wäre dies ein historisch einmaliger Vorgang. Während nämlich bislang noch kein einziges bildgebendes Medium von der Entwicklung eines neuen verdrängt wurde, so könnte nun erstmals der Fall eintreten, daß ein ausgereiftes, voll entwickeltes Bildmedium von der Industrie eliminiert wird.

In diesem Kontext sehe ich die spezifische Metabedeutung der extrem handwerklichen Produktionstechnik meiner jüngeren Filme verankert. Diese wollen als Kunstwerke in Erscheinung treten, die so nur als Produkte klassischen Filmmaterials möglich sind, und deren jeweilige Gestalt de facto, bzw. sinnvollerweise nicht digital produziert werden könnte.
Der spezifische Charme der Filme scheint mir aus der Kombination einer einerseits äußerst präzisen Komposition, soweit dies die ausgewählten Bilder des Ausgangsmaterials und ihr neues Arrangement betrifft, andererseits eines nicht übersehbaren, ausgeprägten aleatorischen Anteils der manuellen Herstellungsweise zu entspringen. Die Arbeit mit dem Laserpointer gestattet nämlich weder eine genaue Festlegung der Belichtungszeit (und somit der Bilddichte), noch eine wirklich präzise umgrenzte Bestimmung des umkopierten Bildauschnittes. Als Resultat läßt sich während der Projektion eine permanente Fluktuation der Bildteile beobachten, die ständig auf ihren manuellen Entstehungsprozeß zurückverweist. Zu diesen Bildfluktuationen gesellen sich unvermeidlicherweise jede Menge an Verunreinigungen, Kratzer, etc., die nun als Bildteile in das gesamte Erscheinungsbild des Films mit integriert werden. Die Schnittstellen bleiben ebenso sichtbar, wie auch auf der Ebene des Tones ein permantes Changieren zwischen den neu zusammengesetzten Klangwelten des originalen Soundtracks und jenen der unvermeidlicherweise „schmutzigen“, manuellen Eingriffe in das Trägermaterial hörbar gemacht wird.
Kurz gesagt: Der Herstellungsprozeß selbst ist zutiefst den Bildern und Klängen dieser Filme mit eingeschrieben, und dieser Herstellungsprozeß präsentiert sich als einer, der sich in dieser Gestalt einer manuellen Arbeit mit und am analogen Bildmaterial verdankt, welches keinesfalls gegen ein anderes Basismaterial ausgetauscht werden könnte.

Es mag durchaus sein, daß sich eine Nische etablieren wird, in welcher der klassisch-analoge Film weiter existieren wird, eine, wenngleich enorm geschrumpfte Industrie auch weiterhin Filmmaterial erzeugen wird, und sei es auch nur zu konservatorischen Zwecken. Dennoch erscheint es mir in der Dynamik des gegebenen historischen Moments von nicht unerheblicher Bedeutung, mit großem Nachdruck auf die spezifisch künstlerischen Möglichkeiten des Filmstreifens hinzuweisen. Wenn über dieses Motiv hinaus die Filme selbst ein derart großes Publikum zu unterhalten verstehen, wie das den Filmen der CinemaScope-Trilogie bislang gelungen ist, dann mag man dies ebenfalls als Ausdruck einer noch weit verbreiteten, intakten Sensibilität für die ganz eigene Schönheit der klassischen Kinematographie verstehen.